Seit Beginn der Arbeitsmigration in den 60-er Jahren gibt es unfassbar viele Lieder und Musikstücke der türkeistämmigen Migrant*innen.
Denn am Anfang gab es kein türkisches Radio, Telefonieren mit Verwandten in der Heimat war teuer und der Briefverkehr dauerte wochenlang. Satellitenantennen, Internet oder YouTube waren damals nicht vorstellbar. Die Menschen fingen an, ihre eigenen Lieder zu singen. Die ersten Lieder handelten vom Fernweh, von der Geliebten in der Heimat, von Arbeitsbedingungen und vom Leben in der Fremde. Mit der nächsten Generation entstanden Romeo-und-Julia-Songs, nach den Brandanschlägen in Mölln und Solingen in den 90er-Jahren verbitterte Hip-Hop Stücke.
Das alles geschah unbemerkt von der musikalischen Öffentlichkeit in Deutschland. 1974 verkaufte Vicky Leandros „Theo wir fahrn nach Lodz“ 400.000 Mal und eroberte die Hitparade. Ein Jahr später erschien „Beyaz Atlı“ von Yüksel Özkasap in Köln und erreichte Verkaufszahlen nachweislich in doppelter Höhe. Das weiß auch heute noch niemand. Es brauchte Jahrzehnte bis Deutschland auch unter dem Nachwuchs der Migrant *innen Superstars suchte und fand. Erst nach der Jahrtausendwende fanden Nachwuchs Hip- Hop-Künstler eine Sprache, mit der sie auch die Mehrheitsgesellschaft in ihren Bann ziehen konnten.
Die Geschichte (und Gegenwart) der Musik der Türkeistämmigen in Deutschland ist weltweit ein Phänomen. Nicht umsonst erschienen Compilation-Alben in den letzten Jahren. Einige Zeitung-Feuilletons griffen das Thema auf. In seiner aktuellen Ausstellung „Hits und Hymnen“ stellt das Haus der Geschichte in Bonn Akteur*innen der türkeistämmigen Musiker neben Udo Lindenberg, Heino und den Puhdys aus.
Als der runde Geburtstag der türkischen Migration in Deutschland näher rückte, haben wir türkeistämmigen Musiker*innen festgestellt, dass wir nicht (nur) museumsreif sind. Während des Lockdowns haben wir uns vernetzt und eine Konzertreihe konzipiert, die Ende Oktober /Anfang November in verschiedenen Städten stattfinden wird:
„Deutschlandlieder - Almanya Türküleri“.
Wir spielen sowohl in der Zeche Zollverein als auch im Opernhaus in Bonn, im WDR aber auch in den Ford Werken in Köln. Dort arbeitete einst Metin Türköz, der erste türkische Barde Deutschlands. Er lebt jetzt in einem Altenheim in Köln. Die junge Generation ist auch dabei, wie z. B. Rapper Eko Fresh – alles in allem 12 Stars aus 60 Jahren Migrationsgeschichte. Die Solistinnen werden von einer elfköpfigen Band bestehend aus deutschen, italienischen, türkischen und kurdischen Musikerinnen begleitet.
Mit unserer Konzertreihe präsentieren wir einen bisher nahezu unbekannten Teil einer inzwischen gemeinsamen türkisch-deutschen Musikgeschichte, ein musikalisches Fest der Erinnerung, aber auch ein Happening aktueller Hip-Hop-Kultur.